Weniger Bürokratie, höhere Attraktivität, mehr Fachkräfte – geht diese Rechnung auf?
Keine Frage: Fachkräfte sind nicht nur im Handwerk ein dauerhaft aktuelles Thema. Das spiegelt sich vor allem in Zahlen und Statistiken wider. Immer mehr Schulabgänger gehen lieber studieren, statt eine Ausbildung oder Lehre im Handwerk zu beginnen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge kamen 2021 4,3 Azubis auf 10 Studierende, 1950 waren es noch 75,5 Azubis!1
Über die Gründe dafür lässt sich sicher spekulieren. Jedenfalls will nun die Bundesregierung – namentlich die Parteien CDU, CSU und SPD – auf diese fortwährend anhaltende Entwicklung reagieren und erst einmal den Arbeitsmarkt grundsätzlich attraktiver machen. Dazu sind im Koalitionsvertrag verschiedene allgemeine Maßnahmen festgehalten.
Die Sicherung der Fachkräftebasis ist ein entscheidender Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes. Deshalb ziehen wir alle Register, damit Fachkräftesicherung in den nächsten Jahren gelingt. In Zusammenarbeit mit den Ländern wollen wir die Fachkräftestrategie des Bundes weiterentwickeln.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Drei Bereiche, die offenbar bevorzugt angegangen werden sollen:
Bereich | Details |
---|---|
Erhöhung der Erwerbsbeteiligung | Zwei der zentralen und dringlichsten Themen im Handwerk. Beides will die neue Regierung anpacken. Mehr dazu erfährst du in diesem Artikel. |
Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt | z. B. Beschleunigung der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sowie die Einführung einer digitalen „Work-and-stay-Agentur“, einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für Fachkräfte aus dem Ausland |
Bildung & Qualifizierung | Ausbildungsförderung und Förderung von Quereinstiegen in haushaltsnahe Dienstleistungen (Alltagshelfer für Familien) sowie insbesondere im Handwerk die Förderung von Betriebsübergaben und Existenzgründungen |
Wovon das Handwerk ganz konkret profitieren könnte
Besonders vielversprechend fürs Handwerk: Es soll etwa der Investitionsstau in handwerklichen Bildungsstätten mit Hilfe von Fördermaßnahmen bekämpft werden, Vergabeverfahren sollen vereinfacht und Genehmigungsprozesse für Handwerksbetriebe schneller abgeschlossen werden. Außerdem sollen Arbeitsgenehmigungen für qualifizierte Fachkräfte beschleunigt werden. Ein weiteres größeres Thema ist die Förderung von Betriebsübergaben und Existenzgründungen im Handwerk, die wir später im Artikel noch gesondert betrachten.
Bessere Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt
Ein sehr vielversprechender Punkt im Koalitionsvertrag in Sachen ausländische Fachkräfte: Die Regierungsparteien wollen Hürden abbauen, die Menschen aus dem Ausland den Arbeitseinstieg in Deutschland erschweren. Viele Geflüchtete haben bereits in ihrem Herkunftsland handwerkliche Berufe ausgeübt oder Ausbildungen absolviert. Das Problem bislang: Deutschland erkennt diese Qualifikationen oft nicht an, sodass sie entweder in unnötig niedrigen Positionen arbeiten oder zusätzliche Prüfungen ablegen und Nachqualifikationen erwerben müssen – was wiederum einen nicht unerheblichen Kosten- und Zeitfaktor mit sich bringt. Der Lösungsansatz für diese und ähnliche Herausforderungen ist die Einführung einer „Work-and-stay-Agentur“, die sich bundesweit zentral um alle entsprechenden Belange und Angelegenheiten kümmern soll.
Es gilt, bürokratische Hürden einzureißen, etwa durch eine konsequente Digitalisierung sowie die Zentralisierung der Prozesse und eine beschleunigte Anerkennung der Berufsqualifikationen. Dafür schaffen wir, unter Mitwirkung der Bundesagentur für Arbeit, eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung – „Work-and-stay-Agentur“ – mit einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte. Die Agentur bündelt und beschleunigt unter anderem alle Prozesse der Erwerbsmigration und der Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen und verzahnt diese mit den Strukturen in den Ländern. Wir erleichtern die Prozesse durch eine bessere Arbeitgeberbeteiligung. Wir setzen uns für einheitliche Anerkennungsverfahren innerhalb von acht Wochen ein.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Tatsächlich gibt es in einigen Bundesländern bereits seit längerem beschleunigte Verfahren zur Fachkräfteeinwanderung, in Baden-Württemberg beispielsweise schon seit 20203. Obwohl feststeht, dass es künftig eine bundesweite zentrale Lösung geben soll – nämlich die im Koalitionsvertrag genannte „Work-and-stay-Agentur“ –, richtet das Land Niedersachsen zum 1. Juli 2025 eine eigene neue „Zentralstelle für das beschleunigte Fachkräfteverfahren“ auf Landesebene ein.4.
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Gezielte Förderung von Aus- und Weiterbildung
Ganz grundsätzlich, also nicht nur für Fachkräfte aus dem Ausland, möchte die Bundesregierung die Attraktivität des Arbeitsmarkts steigern. Eine Reaktion auf die Entwicklung, dass immer mehr Schulabgänger lieber studieren statt eine Ausbildung zu beginnen, und Menschen das Gefühl haben, angesichts hoher Sozialleistungen lohne sich Arbeit nicht mehr.
Allen voran soll speziell Frauen ermöglicht werden, ihre Tätigkeiten im Haushalt und bei der Erziehung zu reduzieren und stattdessen wieder mehr aktiv am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Dazu soll ein jährliches Budget für Alltagshelfer in Familien mit kleinen und mittleren Einkommen sowie kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen geprüft werden. Diese Finanzspritze für Alltagshelfer würde dann nicht nur Frauen entlasten, sondern gleichzeitig auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen bei haushaltsnahen Dienstleistungen fördern, heißt es. Mitunter durch leichtere Quereinstiege in diesem Bereich.
Die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen ist ein entscheidender Faktor zur Fachkräftesicherung. Wir wollen Familien helfen, den alltäglichen Spagat zwischen Kindererziehung, Arbeit, Haushalt, Pflege und auch Erholung besser bewältigen zu können.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Zwei weitere Punkte sind Bildung und Qualifizierung für alle Menschen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen können. Dazu gehören die Ausbildungsförderung, etwa durch die Verbesserung des Aufstiegs-BAföG, aber auch Investitionen in Bildungsstätten. Darüber hinaus soll die „stärkere Durchlässigkeit von Ausbildung und Meisterprüfung zum Studium“ die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung fördern und Menschen mit beruflicher Qualifikation den Zugang zu Hochschulen erleichtern.
Wir wollen den Mittelstand und das Handwerk mit flexibleren gesetzlichen Rahmenbedingungen, einfacheren Vergabeverfahren und schnelleren Genehmigungsprozessen unterstützen. Dazu zählen die stärkere Durchlässigkeit von Ausbildung und Meisterprüfung zum Studium und die Verstetigung der Ausbildungsförderung.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Das alles soll am Ende dazu dienen, die berufliche Bildung attraktiver zu machen und Menschen zu motivieren, sich weiterzubilden und höher zu qualifizieren. Übrigens: Der geplante massive Bürokratieabbau zieht sich durch praktisch alle genannten Ziele und Themengebiete, kommt also auch ganz übergeordnet hier zum Tragen. Mehr dazu erfährst du in unserem vorherigen Blogartikel zum Bürokratieabbau.
Betriebsübergaben im Handwerk: Was kommt da auf die Branche zu?
Dass die Politik endlich handelt, scheint wichtiger denn je. Denn: Zum bereits ohnehin hohen Fachkräftemangel kommt erschwerend die Tatsache, dass in den kommenden Jahren etwa 125.000 Handwerksbetrieben in Deutschland ein Generationenwechsel bevorsteht. Altgediente Handwerker gehen in Rente und müssen ihren Betrieb an Jüngere übergeben.
Damit möglichst wenig dieser Handwerksbetriebe komplett aufgegeben werden, sondern Nachfolger*innen gefunden werden können, will die Politik auch hier mit einem Maßnahmenpaket reagieren. Die bereits genannten Lösungsansätze für den Fachkräftemangel gelten hier selbstverständlich auch, es gibt aber noch deutlich mehr auf dieses Problem zugeschnittene Planungen.
Im Handwerk stehen in den nächsten Jahren rund 125.000 Betriebe zur Übergabe an. Wir unterstützen Betriebsübergaben und Existenzgründungen im Handwerk. Wir wollen den Investitionsstau in den Bildungsstätten mit einer verlässlichen Förderung lösen.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Vor allem sollen Betriebsübergaben und Existenzgründungen im Handwerk gefördert werden. Außerdem ist auch hier geplant, bürokratische Hürden abzubauen, um die Übergabeprozesse zu erleichtern. Mit Investitionen in handwerkliche Bildungsstätten soll die Ausbildung neuer Fachkräfte in den übergebenen Betrieben gesichert werden. Wie viel Budget letztlich zur Verfügung stehen wird, ist allerdings noch unklar.
Ausblick: Wie geht es weiter mit Politik und Handwerk?
Die Ausführungen im Koalitionsvertrag zeigen, dass die Parteien die Probleme und Herausforderungen in Sachen Fachkräftemangel, -einwanderung und -nachwuchs erkannt haben. Nach wie vor steht über allen Themen der Abbau bürokratischer Hürden als eine Art Allheilmittel. Speziell fürs Handwerk gibt es aber bereits konkretere, vielversprechende Ansätze wie die Förderung von Betriebsübergaben und Existenzgründungen, die Investition in handwerkliche Bildungsstätten und die Anerkennung von Qualifikationen aus dem Ausland.
Es scheint logisch, dass das ganze System sich nicht innerhalb weniger Tage umkrempeln lässt. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die Ideen erst langfristige Ausarbeitungs-, Gesetzgebungs- und Budgetfindungsprozesse durchlaufen müssen, bevor sie tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden können. Neu eingerichtete Prozesse oder Behörden benötigen zudem erfahrungsgemäß etwas Zeit, um sich etwas „einzuschleifen“.
Vor diesem Hintergrund interessant: Niedersachsen richtet zum 1. Juli 2025 eine eigene landesweite Zentrale für Fachkräfteeinwanderung ein, wartet also nicht auf die bundesweite Zentrale („Work-and-stay-Agentur“). Dieser Schritt kann als pragmatische Lösung für den Fachkräftemangel im Bundesland verstanden werden – immerhin übernimmt die neue Zentrale Teilaufgaben von bisher 52 einzelnen kommunalen Ausländerbehörden –, könnte aber auch gleichzeitig den Eindruck erwecken, als glaube die Niedersächsische Landesregierung nicht besonders daran, dass sich auf Bundesebene zeitnah etwas tut.
So oder so: Die Maßnahmen sind mal mehr, mal weniger konkret geplant, jetzt muss die Bundesregierung hart weiterarbeiten und dringend liefern. Wir behalten die Entwicklung und den Fortschritt weiter im Blick und informieren dich in unserem Blog über bedeutende Neuigkeiten. Im nächsten Artikel unserer Reihe zum Koalitionsvertrag und seiner Bedeutung fürs Handwerk schauen wir uns den Themenkomplex Bauen und Wohnen einmal näher an.
Quellen
1Statista (2025): Entwicklung des Lehrlingsbestandes im Handwerk in Deutschland von 1990 bis 2024, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/30524/umfrage/lehrlingsbestand-im-handwerk-in-deutschland-seit-1990/
2Statistisches Bundesamt (2023): Pressemitteilung Nr. N036 vom 15. Juni 2023, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_N036_12.html
3Regierungspräsidium Stuttgart (2020): Publikation Hinweise zum beschleunigten Fachkräfteinwanderungsverfahren [sic], https://rp.baden-wuerttemberg.de/themen/bildung/ausbildung/seiten/aktualisierte-hinweise-zum-beschleuningten-fachkraefteinwanderungsverfahren/
4Nds. Staatskanzlei (2025): Pressemitteilung Landesregierung richtet zum 1. Juli 2025 Zentralstelle für das beschleunigte Fachkräfteverfahren in Niedersachsen ein, https://www.stk.niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/landesregierung-richtet-zum-1-juli-2025-zentralstelle-fur-das-beschleunigte-fachkrafteverfahren-in-niedersachsen-ein-242425.html
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