Welche Chancen bietet der Koalitionsvertrag?
Zunächst einmal gut zu wissen: Beim Koalitionsvertrag handelt es sich um eine rechtlich nicht bindende politische Absichtserklärung. Darin haben die beteiligten Regierungsparteien festgelegt, was sie in der kommenden Legislaturperiode – also regulär in den kommenden vier Jahren – umsetzen möchten. In den seltensten Fällen handelt es sich um sehr präzise Formulierungen, meist lassen die Ausarbeitungen viel Spielraum. Auch konkrete, quantifizierbare Zielsetzungen werden im Koalitionsvertrag nicht genannt. Nichtsdestotrotz wird die gemeinsame Richtung der Koalitionspartner deutlich: Die Parteien schwören die Menschen auf einen Umschwung ein, es soll kräftig angepackt, umgekrempelt und Deutschland wieder fit gemacht werden. Der Vollständigkeit halber sei allerdings angemerkt, dass das bei praktisch jedem Koalitionsvertrag der Fall ist.
Wir sorgen für einen handlungsfähigen Staat. Seit Jahren schwindet das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz öffentlicher Institutionen. Wir haben diesen Weckruf gehört und einen Reformplan entwickelt. Wir wollen einen funktionierenden, handlungsfähigen Staat, der digitaler und effizienter als bisher arbeitet.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Sollte tatsächlich alles umgesetzt werden, was sich die neue Regierung vorgenommen hat, wird auch das Handwerk spürbar profitieren. Damit du dich nicht durch undurchsichtige Formulierungen mit Begriffen wie Konsolidierungsdruck, Kohärenz, SpillOver-Effekt, One-Stop-Shop und unternehmerische Governance kämpfen musst, haben wir das 144-seitige Papier einmal genauer betrachtet und die wichtigsten Punkte, die für dich als Handwerker*in relevant sind, verständlich aufbereitet.
Dies sind die wichtigsten Themen fürs Handwerk
Im Koalitionsvertrag stehen vier wesentliche Themenkomplexe im Fokus, die das Handwerk besonders betreffen. Die jeweiligen – nicht immer ausschließlich handwerksbezogenen – Problemstellungen, Schwierigkeiten und Herausforderungen haben die Koalitionsparteien offensichtlich erkannt und sich deren Verbesserung auf die Fahnen geschrieben. Die Kernthemen:
Thema | Bedeutung fürs Handwerk |
---|---|
Digitalisierung & Bürokratie | Zwei der zentralen und dringlichsten Themen im Handwerk. Beides will die neue Regierung anpacken. Mehr dazu erfährst du in diesem Artikel. |
Betriebsübergaben & Fachkräftesicherung | Fachkräfte sind rar und werden – speziell, wenn sie aus dem Ausland kommen – manchmal von allzu bürokratischen Regelungen ausgebremst. Erschwerend kommt hinzu: In den kommenden zehn Jahren stehen mehr als 100.000 Handwerksbetriebe zur Übergabe an. Zum Fachkräftemangel kommt also auch noch ein Nachfolge-Mangel. |
Bauen & Wohnen | Der zuletzt zäh laufende Wohnungsbau soll aufleben. Von den neuen Projekten könnten zahlreiche Gewerke vor allem aus dem Bauhauptgewerbe profitieren. |
Klimaschutz & Energie | Geplant sind flexiblere und technologieoffene Regelungen im Bereich Heizsysteme. Außerdem: Genehmigungsverfahren im Bau- und Energiesektor sollen beschleunigt, das Gebäudeenergiegesetz soll geändert werden. Durch die Förderung von Wasserstofftechnologien könnten nicht nur Industrie-, sondern auch Handwerksbetriebe profitieren. Dasselbe gilt für die Förderung von Nah- und Fernwärmenetzen. |
Sofortprogramm für den Bürokratierückbau kommt
Eines der Kernthemen des Koalitionsvertrags ist – ganz übergreifend, nicht ausschließlich aufs Handwerk bezogen – der Bürokratieabbau. Der ist der neuen Regierung offensichtlich so wichtig, dass sie direkt mit einem Sofortprogramm loslegen will.
Im Rahmen eines nationalen „Sofortprogramms für den Bürokratierückbau“ werden wir bis Ende des Jahres 2025, insbesondere mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen, Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abschaffen und den Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand signifikant reduzieren.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Details dazu sind jedoch bislang eher dünn, auch außerhalb des Koalitionsvertrags. Von Seiten der CDU heißt es lediglich, es sei das klare Ziel, die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 25 Prozent zu senken.1 Konkrete Maßnahmen sind neben der bereits erwähnten Reduzierung der Bürokratie für Betriebsbeauftragte (zum Beispiel Datenschutzbeauftragte, Umweltbeauftragte Sicherheitsbeauftragte, d. Red.) etwa die Abschaffung der Bonpflicht und die Digitalisierung der Verwaltung, um alle Anträge und Behördengänge auf einer digitalen Plattform („One-Stop-Shop“) zu bündeln.
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Lieferkettensorgfaltspflicht wird gelockert
Im Rahmen des Sofortprogramms soll das 2023 eingeführte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) abgeschafft und durch ein schlankeres Gesetz ersetzt werden. Das spart Handwerkern den Mehraufwand für die Nachweiserbringung und die kleinteilige Dokumentation von Lieferketten bei Materialien wie Holz oder Metall sowie verschiedenen Baustoffen, die von ihnen verbaut werden.
Darüber hinaus schaffen wir das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ab. Es wird ersetzt durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung, das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt. Die Berichtspflicht nach dem LkSG wird unmittelbar abgeschafft und entfällt komplett.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Zwar waren nicht alle Handwerksbetriebe davon direkt betroffen, aber indirekt, wenn sie in die Lieferkette eines größeren Unternehmens eingebunden waren, für das diese Sorgfaltspflicht galt. Etwa dann, wenn zum Beispiel ein kleiner Tischler-Betrieb in einem Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten die Decke des Kantinen-Speisesaals vertäfelt. Das LkSG sieht vor, dass der Betrieb dann dem Auftraggeber gegenüber die gesamte – möglicherweise internationale – Lieferkette des von ihm verarbeiteten Holzes lückenlos hätte nachweisen und versichern sollen, dass es nicht an irgendeiner Stelle zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörungen gekommen ist. Der Auftraggeber wiederum war dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), der zuständigen Überwachungsbehörde für die Umsetzung des LkSG, gegenüber nachweispflichtig.
In der Praxis haben große Unternehmen offenbar auch immer wieder versucht, ihre eigenen Pflichten nach dem LkSG zumindest in Teilen auf kleinere Auftragnehmer oder Zulieferer abzuwälzen. Um dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben, soll nun also das Gesetz abgeschafft und durch lockerere, weniger bürokratische und aufwendige Maßnahmen ersetzt werden.
Digitalisierung: Tut sich etwas auf der Dauer-Baustelle?
Ein weiteres bedeutendes Thema neben dem Bürokratieabbau und der zugehörigen Lockerung der Lieferkettensorgfaltspflicht ist die Digitalisierung. Das Thema gibt es nicht erst seit gestern. Es ist eine Art Dauer-Baustelle, auf der die Bundesregierung nun ebenfalls die Ärmel hochkrempeln und kräftig anpacken will – und zwar gleich an mehreren Stellen.
Nämlich zum einen in den Handwerksbetrieben, zum anderen aber auch im eigenen Behördenapparat. Mit Blick auf die Digitalisierung des Handwerks soll ein Konzept, das sich bereits etabliert hat, zum neuen Standard für die Digitalisierung des Bauwesens gemacht werden: BIM. Außerdem sollen verschiedene Technologien gefördert werden, die auch im Handwerk zum Einsatz kommen oder verstärkt kommen könnten, zum Beispiel Leichtbau, additive Fertigung und 3D-Druck.
Einfachere Behördenkommunikation dank digitaler Plattform
Der Ansatz innerhalb der eigenen Verwaltung: Ein sogenannter One-Stop-Shop. Übersetzt: Eine digitale Plattform, die den Behördengang überflüssig machen und Antragstellungen vereinfachen soll. Im Koalitionsvertrag wird an mehreren Stellen auch die digitale Vernetzung verschiedener Behörden untereinander erwähnt. Wird der Aspekt wie geplant umgesetzt, können Handwerker Zeit und Nerven sparen.
Wir setzen auf konsequente Digitalisierung und „Digital-Only“: Verwaltungsleistungen sollen unkompliziert digital über eine zentrale Plattform („One-Stop-Shop“) ermöglicht werden, das heißt ohne Behördengang oder Schriftform.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Die entsprechenden Ausführungen im Koalitionsvertrag betreffen nicht nur Privatpersonen. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass spezifische Zugänge für Unternehmen, Selbstständige und Vereine geschaffen werden sollen. Dazu gehört die Möglichkeit, innerhalb von 24 Stunden in Deutschland ein Unternehmen gründen zu können. Das übergeordnete Ziel: Eine nutzerfreundliche, barrierefreie und effiziente Verwaltung, die sich an den Bedürfnissen aller Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft orientiert.
BIM für die Digitalisierung des Bauwesens
Erstaunlich konkret gehen die Koalitionspartner in ihrem Vertrag auf die Städtebauförderung ein. Von einer Verdopplung des Finanzvolumens ist die Rede, aber auch davon, Building Information Modeling (BIM) zum zentralen Instrument für die Digitalisierung des Bauwesens zu machen. Das wäre perspektivisch ein echter Mehrwert für Betriebe im Hochbau, Tiefbau, Straßenbau & Co., da sich das Konzept bereits etabliert hat.
Das Finanzvolumen der Städtebauförderung wird schrittweise verdoppelt. Wir werden die Mittel für die Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Städtebauförderung für die laufenden Maßnahmen verstärken und den zeitlichen Rahmen anpassen. Building Information Modeling (BIM) wird zum zentralen Instrument der Digitalisierung des Bauwesens weiterentwickelt.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Hintergrund: BIM ist eine besonders effiziente Methode für die Planung und Analyse von Bauprojekten. Sie ergänzt die Dimensionen einer CAD-Software (2D/3D) um viele weitere Dimensionen, zum Beispiel Infos zu Effizienz und Nachhaltigkeit. Unternehmen aus den Baugewerken optimieren ihre Prozesse und schaffen mehr. Das wiederum ist im Interesse der Regierung, die (Bau-)Wirtschaft anzukurbeln – ein weiteres zentrales Thema im Koalitionsvertrag.
Leichtbau, 3D-Druck & Co. – Förderung für innovative Technologien
Handwerker, die nicht unbedingt große Bauwerke planen und umsetzen, können von Investitionen und neuen Förderungen für Schlüsseltechnologie profitieren. Dazu gehören im einzelnen Künstliche Intelligenz (KI), Robotik, Cloud-Infrastruktur, Leichtbau-Technologie, additive Fertigung und 3D-Druck.
Wir etablieren Deutschland als KI-Nation. Das bedeutet massive Investitionen in die Cloud- und KI-Infrastruktur sowie in die Verbindung von KI und Robotik. Wir fördern Leichtbau-Technologie, additive Fertigung und 3D-Druck.
(Wortlaut aus dem Koalitionsvertrag)
Aufgrund der breitgefächerten Anwendungsbereiche von 3D-Druck dürfte die Förderung dieser Technologie für vergleichsweise viele Handwerksbetriebe von Interesse sein, etwa wenn es um den Prototypenbau oder die Herstellung individueller Bauteile und Werkzeuge geht.
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Stimmen aus dem Handwerk: Zuversichtlich, aber kritisch
Wie kommt der Koalitionsvertrag mit seinen Einzelheiten beim Handwerk an? Die Grundstimmung scheint in eine positive Richtung zu gehen. Nach dem „Ampel-Debakel“ der Vorgängerregierung stehen die Zeichen auf Umbruch und Modernisierung. Dementsprechend stoßen die Vorhaben im Handwerk weitgehend auf Zustimmung und Zuversicht.
Auch Führungskräfte von Verbänden und Handwerkskammern bewerten die genannten Maßnahmen als Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig fordert etwa Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), nun mit Nachdruck, dass zügig alles umgesetzt wird, was versprochen wurde.
„Der Regierungsbeginn muss zur Initialzündung für einen echten Aufbruch und einen Kurs werden, der wirtschaftlichen Schwung entfaltet. Das Handwerk erwartet eine Regierung, die nicht im Leerlauf bleibt, sondern die jetzt aufs Gas tritt und Tempo macht: Bürokratie abbaut, Betriebe entlastet, Rahmenbedingungen verbessert – im Steuerrecht, im Bildungssystem, bei Energie- und Sozialkosten, in der Digitalisierung und im Baubereich“2, so Dittrich wörtlich.
Ähnlich äußert sich Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern: „Der Koalitionsvertrag bietet gute Ansätze in einigen Politikbereichen, in anderen bleibt er mutlos. Für eine echte Politikwende müssen die guten Vorsätze jetzt schnell und durchgreifend umgesetzt werden. Aber auch in weiteren Bereichen muss noch deutlich mehr Ehrgeiz entwickelt werden.“3
Ausblick: Wann gibt es erste spürbare Ergebnisse?
Ihre Worte hat die neue Regierung gut gewählt, doch folgen jetzt auch Taten? Tatsächlich sieht es so aus, als wären insbesondere mit dem Sofortprogramm zum Bürokratieabbau ein schnelles Handeln und damit schnelle Ergebnisse möglich. Inzwischen, Ende Mai, ist das Sofortprogramm immerhin so weit fortgeschritten, dass über den Koalitionsvertrag hinaus rund 60 konkretere Punkte ausgearbeitet wurden. Dazu das Versprechen „Bis zur Mitte des Jahres soll für jeden sichtbar werden, dass es mit Deutschland vorangeht.“
Allerdings ist es auch so, dass das Thema Bürokratieabbau die Politik in Deutschland längst nicht erst seit gestern beschäftigt. Die erste Version des Bürokratieabbaugesetzes trat bereits 2006 in Kraft. Was sich seitdem in Sachen Bürokratie(abbau) getan hat, ist bekannt. Umso motivierter scheint es nun, in den kommenden vier Jahren die Pläne umzusetzen, die in den vergangenen knapp 20 Jahren schon nicht recht zum Erfolg geführt haben.
Zurück zum Koalitionsvertrag: Abgesehen vom genannten Sofortprogramm ist in den meisten Fällen die grundlegende Absicht festgehalten, es sind jedoch noch keine Einzelheiten ausgearbeitet oder zumindest öffentlich bekannt. Absehbar ist, dass erst noch Gesetze oder Verordnungen ausgefeilt werden müssen, die dann verschiedene Institutionen wie Bundestag und Bundesrat durchlaufen, bevor sie konsolidiert werden können. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass Teile von Absichtserklärungen des Koalitionsvertrags innerhalb der gesamten Legislaturperiode überhaupt nicht umgesetzt würden. Regiert Schwarz-Rot die vollen vier Jahre durch, gibt es allerdings einen ordentlichen Zeitpuffer.
Interessant: Seit Amtsantritt der neuen Bundesregierung sind die Stimmen zum Koalitionsvertrag im Vergleich zum Wahlkampf deutlich leiser und weniger geworden. Der Grund dafür, warum sich Medien sowie Handwerks-Verbände und Kammern zurückhalten, liegt sehr wahrscheinlich in der sogenannten 100-Tage-Regelung begründet. Eine Art Schonfrist, in der Politiker erst einmal ihr Amt übernehmen können und Gelegenheit haben, „ungestört“ ihren Wahlversprechen Taten folgen zu lassen, bevor die ersten Erfolge (oder Misserfolge) bewertet oder die Herangehensweise oder der Fortschritt kritisiert wird. Das gilt für den Ortsbürgermeister der 1.000-Einwohner-Kommune genauso wie für die Bundesregierung. Ausgehend vom Amtsantritt des Kabinetts Merz am 6. Mai 2025 ist die 100-Tage-Frist Mitte August vorüber.
Wir begleiten das Zusammenspiel von Politik und Handwerk weiterhin und informieren über bedeutende Neuigkeiten und Entwicklungen, sobald es welche gibt. Bis dahin nehmen wir in unserem nächsten Blogartikel Betriebsübergaben & Fachkräftesicherung näher unter die Lupe.
Quellen
1CDU (2025): Publikation Koalitionsvertrag 2025: Wir machen Deutschland wieder wettbewerbsfähig, https://www.cdu.de/aktuelles/cdu-deutschlands/koalitionsvertrag-2025-wir-machen-deutschland-wieder-wettbewerbsfaehig/
2ZDH (2025): Pressemitteilung Regierungsstart zwar holprig, aber mit Chancen aufs Podium, https://www.zdh.de/presse/veroeffentlichungen/pressemitteilungen/regierungsstart-zwar-holprig-aber-mit-chancen-aufs-podium/
3Handwerkskammer für München und Oberbayern (2025): Publikation Handwerk fordert mutige Umsetzung von Reformen, https://www.hwk-muenchen.de/artikel/handwerk-fordert-mutige-umsetzung-von-reformen-74,0,11788.html
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